Ein Bild im ovalen Rahmen über dem Sofa meiner Oma interessierte mich als Kind besonders. Vier Kinder meiner Oma waren dort abgebildet, in festlicher Kleidung und ein wenig steif posieren sie für den Fotografen. Die Kleinste ist meine Mutter. Die beiden Jugendlichen sind ihre älteren Schwestern, der junge Mann, mein Onkel. Ihn habe ich nicht kennengelernt. Auf dem Foto sieht er lustig aus, ganz anders als sein Name Ernst es vermuten lässt. Meine Mutter hat mir erzählt, wie viel Quatsch sie immer mit ihrem großen Bruder gemacht hat. Da hing noch ein Foto, wenig später aufgenommen: Ernst in der Uniform der deutschen Wehrmacht. Weitere Fotos gibt es nicht. Vergleichbare letzte Fotos besitzen viele Familien. Sie halten die Erinnerungen wach an einen jungen Mann, der ein geliebtes Familienmitglied war. Die jungen Männer hatten ihre individuellen Geschichten und Pläne. Vergleichbar ist ihr böser, vorzeitiger Tod: sie sind als Soldaten „gefallen“. An diesem Sonntag ist Volkstrauertag. Ein öffentliches Gedenken der Toten zweier Weltkriege findet statt. Aus biblischer Sicht ist die Erinnerung wichtig, um der Opfer und ihrer Familien, aber auch um unserer Zukunft willen. Im Psalm 90 ruft ein Betender vor 4000 Jahren zu Gott: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“. Für diesen Menschen zeigt sich Gottes Zuwendung in erfülltem Leben, das Menschen veranlasst, lebenslang Gott zu loben und fröhlich zu sein. Das ist Gottes Plan! Erinnerungskultur sollte die Zukunft mit einschließen. Am heutigen Sonntag bewegen mich viele Fragen um die Friedensfähigkeit unserer Gesellschaft, die Sicherheit und die Verteidigung unseres demokratischen Staates. War es zielführend die Bundeswehr in eine Berufsarmee umzuwandeln? Trägt die Mehrheit der Gesellschaft mit, dass junge Frauen und junge Männer als Soldaten der Bundeswehr in Mali und Afghanistan Gefechte führen? Ausgehend von Erinnerung wünschte ich mir eine breite Friedensdebatte!

 

Imke Reinhadt-Winteler

Imke Reinhadt-Winteler

Pfarrerin