„Nah ist und schwer zu fassen der Gott“, stellt Friedrich Hölderlin in einem seiner bekanntesten Gedichte fest.

 

Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn wir in diesen Tagen in die Straßen und die Infektionsstationen der Krankenhäuser schauen: Das CoVid 19-Virus sorgt weltweit für Chaos. Öffentliches Leben ist auch bei uns fast zum Erliegen gekommen. Das Gesundheitssystem, Ärzte- und Pflegepersonal werden bis an die Grenzen und darüber hinaus belastet. Gerade Alte und chronisch Kranke gehören zur Risikogruppe und sollen das Haus nicht mehr verlassen. Schwer zu fassen, was diese Einschränkungen in der Karwoche bedeuten. Versammlungen, Konzerte – aber auch Andachten und Gottesdienste finden nicht mehr statt. In diesen alten Riten wollen wir Gottes Nähe erfahren. Doch Johannespassion, Feierabendmahl am Gründonnerstag und Eucharistie am Karfreitag fallen genauso aus wie die zahlreichen Osterfeiern mit Feuer und Spaziergang mit Freunden. Schwer zu fassen.

„Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“, setzt Hölderlin fort. Da, wo Gott sich entfernt, wo wir ihn nicht mehr fassen können, kommt er uns auf andere Weise nahe. Schwer zu fassen war die Vorstellung, wie die vielen alten Menschen in ihren Wohnungen sich selbst überlassen bleiben sollten. Umso erfreuter waren wir von der Hilfsbereitschaft der Jüngeren, als wir die Einkaufshilfe auf die Beine stellen wollten: Innerhalb von zwei Stunden hatten sich gut 25 Freiwillige gemeldet, für die Älteren Einkäufe und Besorgungen zu erledigen.

Diese Hilfsbereitschaft ist ein wichtiges Signal in den chaotischen Verhältnissen dieser Tage. Es zeigt die Stärke und das Zusammengehörigkeitsgefühl unserer Gemeinschaft. Keiner soll vergessen werden! Oder dieses Beispiel: Ehrenamtliche packen Ostergeschenke für das Johannes-Wesling-Klinikum. Ärzte- und Pflegepersonal, Reinigungs- und Sicherheitsdienst, alle, die nicht zuhause bleiben können, weil sie für andere da sein müssen, werden beschenkt.

 

In diesem Jahr wird die Karwoche komplett anders ausfallen. Die verhängte Kontaktsperre rettet vielen Menschen das Leben. Doch wird es nicht leicht, in der verordneten Distanz die Feiertage zu feiern. Sinnvoll, aber ungewohnt.

In der Geschichte des Leidensweges Jesu nach Golgatha zeigt sich, wie Gott die menschengemachten Distanzen durchsteht und schließlich überwindet. Am Ostermorgen entsteht unerwartet eine neue Gemeinschaft.

Wir wünschen Ihnen und Euch, auch wenn Familie, Freund*innen und Gemeinde in den nächsten Tagen nicht in der Nähe sein können, dass Gottes Nähe sich neue Wege sucht. Spontane Balkon- und Wohnzimmerkonzerte, unerwartete Begegnungen im Netz oder im Treppenhaus, verordnete und trotzdem heilsame Entschleunigungen sind echte Bereicherungen und erneuern ganz nebenbei die alten Feiern der Karwoche.

Frieder Küppers

Frieder Küppers

Pfarrer in der St.-Marienkirchengemeinde Minden