„Indignez-vous !“ – Empört Euch!, so lautet der vielzitierte Titel eines Bestsellers aus dem Jahr 2011. Der Autor Stéphane Hessel ruft zwar in seinem während der Finanzkrise erschienen Werk zum Widerstand gegen einen ungezügelten Finanzkapitalismus auf, doch die Parole „Empört Euch!“ scheint seitdem das Mantra jeglichem gesellschaftlichen Diskurses zu sein. Selbst im Einzelgespräch mit einem Mitmenschen scheint es nur noch verhärtete Fronten zu geben; Unnachgiebigkeit, Unwillen, eine andere Position nur ansatzweise verstehen zu wollen und oft eine sofort emotionalisierte Wortwahl scheinen die einzige Form zu sein, überhaupt noch miteinander gegensätzliche Meinungen zu vertreten. Für weite Teile des gesellschaftlichen und politischen Diskurses gilt dies genauso, wie für den Bereich der katholischen Kirche in Deutschland und ihre drängenden Themen. Zurzeit stehen sich zwei Lager verfeindet gegenüber, für die man mangels zutreffenderer Begriffe grob die Umschreibungen „Progressiv“ und „Konservativ“ verwenden könnte. Auf der Seite der „Progressiven“ gilt das Motto „Entweder die Kirche modernisiert sich jetzt sofort grundlegend und passt sich der Zeit an, oder sie ist verloren!“ Auf der Seite der „Konservativen“ wird stoisch daran festgehalten: „Entweder die Kirche bleibt treu bei der gewachsenen, kirchlichen Tradition, unbeirrt gegen alle Widerstände, oder sie ist verloren!“ Beide Positionen beinhalten oft radikale Maximalforderungen, sei es auf der einen Seite sofortige Abschaffung des hierarchischen Aufbaus der Kirche, Aussetzen des Zölibates, Einführung des Frauenpriestertums oder auf der anderen Seite sofortiger Ausstieg aus der staatlich eingezogenen Kirchensteuer, Entweltlichung als Allheilmittel, wortgetreues Festhalten an der kirchlichen Tradition als Gegenbild zu einer säkularisierten Mehrheitsgesellschaft, mit Inkaufnahme einer drohenden Isolierung vom gesellschaftlichen Mainstream. Beiden Seiten muss klar sein, dass eine zunehmende Empörung kein Weg ist und Maximalforderungen kaum durchzusetzen sind. Objektiv betrachtet ist die Kirche selbst Tradition, sie lebt aus den Quellen der Überlieferung und was einmal als wahr erkannt wurde, kann im nächsten Moment
nicht falsch sein! Und doch hat sich die Kirche immer den drängenden Themen ihrer Zeit gestellt, schöpfend aus dem konkreten Glauben, dass es Christus selbst ist, der im Heiligen Geist die Kirche durch die Zeit führt und leitet. Um es für nichtkatholische und nichtgläubige Menschen konkret an einem Beispiel festzumachen: die Maximalforderung der Einführung des Priestertums für Frauen widerspricht fraglos der katholischen Tradition. An dieser Forderung festzuhalten ist sinnlos und führt nur zu einer weiteren Verhärtung der Fronten. Aber sich die Frage zu stellen, wie gläubige Frauen und Männer gemeinsam in unterschiedlichen Berufsfeldern, Begabungen und Berufungen der Welt Antworten aus dem Glauben an Christus heraus auf dringliche gesellschaftliche, ökonomische und soziale Fragen geben können, dies ist doch das eigentliche Thema!

Mir erscheint es wichtig, sich nicht ständig von subjektiver Empörung leiten zu lassen, auf beiden Seiten von Diskursen, sondern reell und objektiv in den Blick zu nehmen, was notwendig, aber auch möglich ist. Ob im kirchlichen Bereich oder im politischen Streit gilt: Empörung ist kein guter Ratgeber

David F. Sonntag,

David F. Sonntag,

Pastor am Dom