Dem Lockdown der Menschlichkeit begegnen

Die Herbstferien sind bei uns zu Ende und sie erinnerten in der Rasanz der uns alle betreffenden Veränderungen an die Osterferien. Nur stellt diesmal trotz der nun rollenden zweiten Welle kaum jemand in Frage, die Schulen und Kindergärten am Montag wieder zu öffnen. Abgesehen davon ist anders als im Frühjahr unsere Gesellschaft viel mehr gespalten. Was ist gut für uns alle? Wie sollen wir diesmal die Sozialkontakte reduzieren, wozu uns die Kanzlerin vor Wochenfrist ermahnt hat? Weiterhin gilt: Je weniger Kontakte desto mehr wird die Ausbreitung des Virus gehemmt. Das wäre gut.

Aber nach den Osterferien waren alle Kirchen, Spielplätze, Krankenhäuser, Altenheime und Kitas zu. Großeltern sahen ihre Enkel allenfalls mit technischer Hilfe. Soll das jetzt wieder so sein? Mittlerweile wissen wir, dass Kinder anders als bei der Grippe keine entscheidende Rolle zur Verbreitung spielen. Auch Besuche geliebter Menschen auf Abstand sind nicht das Problem, sondern ganz klar das, was ohne Abstand und Maske in geschlossenen Räumen passiert, vor allem bei den jungen bis mittelalten Erwachsenen, auf der Arbeit oder beim Feiern.

Wer vor einem halben Jahr genau wusste, was gut ist, musste ein Prophet sein, jetzt aber wissen wir eigentlich das meiste. Ein Prophet der Bibel, Micha, sagt: Ihr wisst es selbst!
Im Schriftwort dieses Sonntags sagt er: Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist, und was der HERR von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott. Niemand also stelle das eigene Freiheitsbedürfnis über den Schutz der Nächsten. Denn Gottes- und Nächstenliebe sind in unserer jüdisch-christlichen Tradition untrennbar. Niemand stelle sich auch mit Besserwisserei über die Erkenntnisse der Wissenschaft, denn sie erforscht ja nur die Zusammenhänge von Gottes Schöpfung. Aber auch niemand der öffentlich Verantwortlichen stelle das verständliche Kontrollbedürfnis über die Menschlichkeit. Die Menschen müssen sich bei Beachtung alles dessen, was wir wissen, sehen können, persönlich. Sonst sterben die Alten an Einsamkeit, siechen die Kranken in Isolation, aber auch unsere Wirtschaft, sowie unsere Kultur der Begegnung in lebendigen Städten stirbt. Mögen wir den richtigen Mittelweg finden mit Herz und Verstand, so dass wir danach handeln, was gut ist für uns alle.

Oder wie sagt es der große Charlie Chaplin in der Rede zu seinem Film, ‚Der große Diktator‘, vor genau 80 Jahren? „Wir sprechen zu viel und fühlen zu wenig. … Vor Klugheit und Wissen kommt Toleranz und Güte. Ohne Menschlichkeit und Nächstenliebe ist unser Dasein nicht lebenswert.“

Ihr Pfarrer im Klinikum Minden, Oliver Vogelsmeier

Oliver Vogelsmeier

Oliver Vogelsmeier

Pfarrer im Johannes Wesling Klinikum Minden